Anders krank
Granatapfel: Was ist Gendermedizin?
Dr. Eva Ornella: Der deutsche Begriff Gendermedizin ist zugegebenermaßen etwas unglücklich gewählt. Eigentlich müsste es geschlechtsspezifische Medizin heißen. Das heißt, Gendermedizin ist keine „Frauenmedizin“, sondern sie beschäftigt sich mit dem Einfluss des Geschlechts auf Gesundheit und Krankheit. Das ist insofern relevant, da Frauen und Männer biologisch nicht gleich sind.
Warum ist es wichtig, auf die Unterschiede von Frauen und Männern zu achten?
Viele Medikamente wurden jahrelang nur an Männern erforscht und erprobt, weil der Körper der Frau mit dem weiblichen Zyklus und den weiblichen Sexualhormonen zu kompliziert für die Forschung erschien und in weiterer Folge Frauen als Testpersonen als zu kostspielig galten. Jahrzehntelang wurden also Frauen mit Medikamenten und Dosierungen behandelt, die nur an Männern erforscht und getestet wurden.
Welchen Einfluss haben die Sexualhormone Östrogen und Testosteron?
Die Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron haben einen großen Einfluss auf Krankheitsbild und Krankheitsverlauf und müssen daher in Diagnose und Behandlung viel mehr berücksichtigt werden. Beim Darmkrebs spielt das weibliche Geschlechtshormon Östrogen eine wichtige Rolle, da es – bis zu einem gewissen Grad – sehr lange vor der Entstehung von Dickdarmkrebs schützt. Deshalb ist es zum Beispiel auch wichtig, bei der Vorsorgekoloskopie zu differenzieren. Frauen profieren davon, wenn man das Intervall verlängert, Männer profitieren davon, wenn man die Vorsorgekoloskopie schon früher durchführt.
Warum ist die Gendermedizin trotzdem noch nicht überall angekommen, etwa bei der Diagnosestellung?
Das hat historische Gründe. Angefangen von Leonardo da Vincis „vitruvianischem Menschen“, der den perfekten Menschen darstellt, der wenig überraschend ein Mann ist, entwickelte sich die klinische Medizin gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Erst 1904 schloss die erste Frau in Österreich ihr Medizinstudium an der Universität Wien ab und obwohl heute mehr als 65 Prozent der Medizin-Student:innen weiblich sind, ist nur jede zehnte leitende Position von einer Frau besetzt.
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