LEITBILD
Der Orden der Barmherzigen Brüder geht auf Johannes von Gott zurück, der im 16. Jahrhundert nach einem Bekehrungserlebnis sein Leben den Bedürftigen und Kranken in Spanien gewidmet hat. Der Orden ist weltweit Träger von Krankenhäusern und Einrichtungen für Menschen am Rande der Gesellschaft.
Zielgruppe der Lebenswelt sind Menschen mit Gehörlosigkeit (Hörbeeinträchtigung) und zusätzlichen Beeinträchtigungen. Auch wenn die zusätzlichen Beeinträchtigungen heterogen sind (intellektuell, physisch, sensorisch, psycho-sozial etc.), so ist doch den Betroffenen gemeinsam, dass durch den Ausfall des auditiven Kanals Kommunikationsprozesse primär visuell (Gebärden, Bildsysteme) zu gestalten sind. Die Bedürfnisse von dualsinnesbeeinträchtigen (taubblinden) Menschen werden speziell beachtet. Ebenso fallen Menschen mit erhöhtem Bedarf an unterstützender Kommunikation in die Zielgruppe der Lebenswelt.
Menschen der Zielgruppe werden unabhängig von Alter, Geschlecht und Religion aufgenommen, wobei für alle vor allem die Einschätzung des Entwicklungspotentials in Richtung Teilhabe an der Gemeinschaft für die Aufnahme ausschlaggebend ist.
Jeder Mensch hat ein angelegtes Potential, das oft erst freigelegt, entdeckt und gefördert werden will. Es gibt auch Entwicklungen im Alter oder bei Erkrankungen, die erst verarbeitet werden müssen und wo Sicherheit, Beständigkeit in der Gemeinschaft eine hohe Bedeutung haben. Dabei spielt die Orientierung an der Person die entscheidende Rolle.
Die MitarbeiterInnen stehen ebenso im Entwicklungsprozess, auch wenn ihnen vielfach die Rolle als EntwicklungshelferInnen zukommt, um angelegte Ressourcen der TeilnehmerInnen zur Entfaltung zu bringen.
Zugang zur Gemeinschaft und ihren sozialen Prozessen war für viele Personen mit Hörbeeinträchtigungen und zusätzlichen Beeinträchtigungen in ihrer Kindheit und bisherigen Biografie aufgrund der Kommunikationsbarrieren kaum möglich. Die Konsequenzen daraus zeigen sich u.a. in umfassenden Defiziten in der sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung.
Der ursprüngliche Wortsinn von „Therapie“ oder „therapeutisch“ aus dem Griechischen „therapeuein“ bedeutet so viel wie verehren, Diener sein, bedienen, freundlich behandeln, gewinnen versuchen oder gut für jemanden sorgen. Darüber hinaus bedeutet „therapeuein“ zu pflegen und auch auszubilden.
Die Gemeinschaft, gesehen als soziales Gefüge, als „soziales Biotop“ wirkt auf jeden Menschen, der Teil dieser Gemeinschaft ist unterstützend, helfend, entwickelnd, herausfordernd, verändernd, heilend, …. Eine Gemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichsten Eigenschaften, Fähigkeiten und Prägungen forciert die persönliche Entwicklung eines jeden.
Eine „therapeutische Gemeinschaft“ ermöglicht eine Entwicklung im Sinne von „sich bilden“ oder „Gestalt annehmen“ durch freundlichen Umgang, Konflikte gemeinsam lösen, füreinander sorgen oder pflegen, stets in hohem Respekt vor der Person.
Die Dynamik dieser Gemeinschaft wird in diesem Sinne bewusst wahrgenommen und gestaltet.
Die therapeutische Gemeinschaft bietet somit dieser besonderen Gruppe Zugang zu elementaren sozialen Lernerfahrungen und damit verbundenen Entwicklungschancen.
Verstanden werden und verstehen, Annahme und Mitwirken innerhalb der Ortsgemeinschaft und sinnvolle Beschäftigung sind wesentliche Bestandteile der Heimat „Lebenswelt ...“
Heimat finden bedeutet einen Platz zu haben (räumlich, wie auch in Bezug zu Menschen), wo der Mensch willkommen ist, dazu gehört, dass sie / er selbst sein kann und mitwirkt ihr / sein Umfeld zu gestalten. Dazu zählen Mitsprache bei den täglichen Aufgaben und im Arbeitsbereich.
Eine Lebenswelt hat eine gesicherte visuelle Kommunikationsform innerhalb der Einrichtung und ist so in gewisser Weise eine „Sprachinsel“ im Ort. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Sicherheit in einer kleineren Gemeinschaft TeilnehmerInnen dazu ermutigt, sich in der größeren Ortsgemeinschaft einzubringen. Diese enge Verwobenheit im Sinne des Inklusionsgedanken per se (Teilhabe) wird einerseits durch den Namen Lebenswelt + Ortsname und durch die Lage der Lebenswelt im Ortszentrum zum Ausdruck gebracht. Weiters wird die Ortsgemeinschaft unterstützt, die Kommunikationsform der Lebenswelt (Gebärdensprache) zu erlernen und anzuwenden. Gemeinsame Projekte und Feiern fördern ebenso das Miteinander.
Kommunikation ist der Schlüssel für die Gestaltung von Beziehungen und für die persönliche Entwicklung in Bezug auf viele verschiedene Bereiche. Menschen mit einer Sinnesbeeinträchtigung und eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit sehen sich im Alltag mit Nachteilen konfrontiert, die so von der Öffentlichkeit oder der Gesellschaft nicht kompensiert werden können. So gestalten wir innerhalb unserer Einrichtungen Rahmenbedingungen, durch die die Kommunikation untereinander erfolgreich sein kann. Die Gebärdensprache, begleitet von Mimik und Gestik, ist die wichtigste Kommunikationsform, die den gemeinsamen Dialog mit hörbeeinträchtigten Menschen sichern kann. Zudem finden sich in der Lebenswelt auch unterschiedlichste Bildpläne, die in den Bereich der unterstützten Kommunikation einzuordnen sind, wieder. Wir sind zudem bereit, die Österreichische Gebärdensprache und andere visuelle und alternative Kommunikationsformen in dem Maße zu erlernen, wie dies zu einer Inklusion aller Beteiligten notwendig ist.
Bedingungslose Wertschätzung jeder Person bedeutet für uns, dass jeder Mensch seine Würde in sich trägt. Diese Würde kann niemandem abgesprochen werden, egal was jemand kann oder tut. Auch Fehlverhalten und Defizite können daran nichts ändern. Niemand darf es sich verdienen müssen, angenommen, wertgeschätzt und respektiert zu werden. So ist jede Person grundsätzlich und ohne Bedingung als Mensch wertzuschätzen und anzunehmen. Die Erfahrung dieser bedingungslosen Wertschätzung und Annahme hat für jede/n in der Gemeinschaft eine heilsame Wirkung.
Die bedingungslose Wertschätzung führt zu einer bedingungslosen Annahme und ermöglicht eine Beziehungsqualität, in der die Person sie selbst sein darf mit allen Fehlern, Schwächen, Stärken und Eigenheiten. Eine persönliche Beziehung einzugehen bedeutet, sich als Person zur Verfügung zu stellen. Dies äußert sich im miteinander Teilen, Hoffen, Trauern, sich gegenseitig Ermahnen, Entschuldigen und Vergeben, Helfen und Ermutigen - am Leben teilhaben und teilhaben lassen und führt zu einem einander Freund/in sein.
Etwas Verborgenes kommt zum Vorschein, das nicht absehbar oder zu erwarten ist, weil es ganz individuell und nicht mit anderen vergleichbar ist. Erst im Entfalten wird sichtbar, was eigentlich schon vorhanden war. Der Prozess der Entfaltung ist jedoch genauso individuell wie auch das, was zum Vorschein kommt.
Vom Schöpfer Angelegtes soll immer mehr zur Geltung kommen, die Vision vom Potential jedes Menschen leitet den therapeutischen Prozess. Dabei kommt der sinnstiftenden Arbeit in einem strukturierten Tagesablauf eine wesentliche Bedeutung zu, auch im Hinblick auf die Entfaltung der persönlichen Identität.
In der Gemeinschaft ist jede Person ein wichtiger Bestandteil des Ganzen. Gerade durch die Individualität und Einzigartigkeit jeder Person gleicht die Gemeinschaft einem Körper mit all seinem Organen, oder einem Biotop. Das Miteinander hält den Organismus funktionsfähig, lebendig und gesund. Das Wir-Gefühl wird verstärkt durch gemeinsame Erlebnisse und Werte, sowie Anteilnahme aneinander. Die Verbindung von „Individuellem mit Gemeinsamen“ ist ein Qualitätszeichen gelingender Gemeinschaft.
Die Erzählungen über das Leben Jesu berichten sehr anschaulich von bedingungsloser Annahme, persönlicher Beziehung, therapeutischer - entwicklungsorientierter Gemeinschaft, Beheimatung oder individueller Entfaltung. Die Berichte von und über Jesus von Nazareth sind deshalb eine frohe Botschaft, die hilft, dieses Leitbild lebendig werden zu lassen.
Die vielen Beispiele in den Evangelien führen uns das vor Augen wie z.B.:
Diese Inhalte der Evangelien werden regelmäßig in „Andachten“ als Geschichten in Gebärdensprache erzählt, gemalt, gespielt, erklärt und in unseren Alltag übertragen. Die Frohe Botschaft macht klar, von Gott uneingeschränkt angenommen zu sein und macht damit auch zum einander Vergeben frei.
Diese Gemeinschaft steht ständig in Entwicklung, gleich einer großen Baustelle oder einem Garten, in der/dem jede/r, gleichgültig in welcher Rolle, Begabung und Fertigkeit, Funktion und Stellung mitarbeitet. Auch die professionellen MitarbeiterInnen verstehen sich nicht als DienstleisterInnen, sondern als TeilnehmerInnen und werden als solche wahrgenommen. Darüber hinaus versteht sich die Lebenswelt als Teil der lokalen Ortsgemeinschaft und bringt sich entsprechend ein.
Lebensfreude durch Gemeinschaft.
Gemeinschaft durch gemeinsame Sprache.
Verstehen durch Gebärdensprache.
Entwicklung durch Verstehen.